Auf dem Rückweg von Kaunas nach Tartu hatte ich etwa sechs Stunden Aufenthalt in Riga (Lettland). Zeit genug also für eine ausgiebige Stadtbesichtigung, aber leider ohne meine Fotokamera, die zuhause lag. Und ohne die, so musste ich schnell feststellen macht richtiges Touri-Sightseeing natürlich gar keinen Spaß. Vor allem, wenn um einen herum alle wild am knipsen sind, als würde Riga morgen komplett verschwinden und als Fotomotiv nicht mehr zur Verfügung stehen. Was also tun?
Spontan entschloss ich mich nach einer Einwegkamera Ausschau zu halten. Früher gabs die günstigen Knipsen doch an jeder Ecke — 30 Minuten später hatte ich zwei Fotogeschäfte, drei Kioske, eine russische Buchhandlung und die Touristeninformation abgeklappert. Digitalkameras kriegt man überall, die alten Einwegkameras sind hingegen beinahe sang- und klanglos verschwunden. Alle verknipst? Beinahe! Denn in einem schmalen Seitengang des Bahnhofs entdeckte ich doch noch einen kleinen Laden, der sogar zwei Modelle zur Wahl stellte. Ich entschied mich für das Modell im Tragebeutel mit dem trendigen Namen Kodak Fun Flash und legte 6 Lat und 50 Santimi auf die Theke.
Auspacken, aufziehen und los gehts! Das besondere an Einwegkameras ist ja ihre Eigenschaft, jedem Bild einen leichten Retrocharme zu verpassen. Die chronische Unschärfe, die nur teilweise wirklichkeitsgetreue Farbwiedergabe und die Verzerrungen der Plastiklinse lassen die Fotos wie aus einer anderen Zeit erscheinen. Ich habe die folgenden Aufnahmen daher nicht bearbeitet, sondern einfach nur auf das passende Format gebracht. Hier ist mein Best of Riga:
Auf dem Weg vom Bahnhof (Foto ganz oben) in die Altstadt habe ich natürlich schon mal gleich alles geknipst was mir vor die Linse kam: Links fescher Jugendstil, rechts formvollendeter Plattenbau…oder umgekehrt…
Ah, hier hatte ich meinen Finger auf der Linse. Sowas merkt man bei einer Einwegkamera natürlich erst wenn man den Film vom Entwickeln abholt. Aber ich kann ja auch beschreiben was die Frau oben auf dem Freiheitsdenkmal in ihren kupfernen Händen hält: Drei gestapelte Sterne. Diese stehen für die drei historischen Regionen Lettlands (Zemgale, Vidzeme und Latgale). Während der Sovietzeit musste das natürlich anders ausgelegt werden. Die Sterne standen damals offiziell für die drei baltischen Sovietrepubliken (Estland, Lettland, Litauen). Die ganzen Leute vor dem Denkmal schauen sich gerade eine Militärparade zum Tag der lettischen Freiheitskämpfer an.
Wenn man hinten steht, sieht man genauso wenig wie vorne. Die Blaskapelle hat immer denselben 30-Sekunden-Ausschnitt aus einem Marsch gespielt, dazwischen hat ein Mann im Anzug irgendwas auf lettisch über Lautsprecher erzählt. Die Soldaten standen einfach nur da. Dafür war der Platz mit lauter Geheimdienstleuten (Erkennungszeichen: Knopf im Ohr) und Scharfschützen auf den Dächern abgesichert. Ist aber nichts passiert (auch inhaltlich jetzt).
Auch in der Altstadt hingen überall lettische Fahnen. Die Letten sind ähnlich wie die Esten sehr patriotisch, vermutlich also garnicht mal so ein ungewohntes Bild in Riga. Eigentlich glaube ich mich zu erinnern, dass da von der Flagge oben noch ein Stück mehr drauf war als ich auf den Auslöser gedrückt habe. Muss wohl irgendwo im Plastikgehäuse der Fun Flash verloren gegangen sein – oder das estnische Fotolabor hat sich da ein Stück von abgeschnitten… (wer weiß)
Am Nachmittag habe ich mich wegen des schönen Wetters spontan entschlossen zum Strand von Riga (in Fachkreisen Latvia Beach) zu fahren. Mit einem Vorortzug fährt man etwa 20 Minuten aus der Stadt raus und bekommt zum günstigen Preis auch noch eine schöne Bahnfahrt geboten. Fahrkarten gibts an einem bestimmten Schalter, die Frauen in der Touristeninformation wissen schon wenn man reinkommt dass man den gerade verzweifelt sucht…
Auf diesem Foto kommt der besagte Retrocharme der Einwegkamera wieder besonder gut raus. Man beachte den Himmel, die verwaschenen Markthallen im Hintergrund und den belebten Busbahnhof im Vordergrund. Ich bin übrigens nach Majori gefahren, einem kleinen Badeort der direkt an der Ostsee liegt.
Hier der Beweis: Ich war wirklich am Strand von Riga! (Ok, das könnte jetzt natürlich auch irgendwo ganz anders gewesen sein. Die Ostsee sieht sich halt überall so verdammt ähnlich. Mit dem Foto könnte ich also nächstes Jahr auch behaupten, dass ich auf Usedom gewesen bin – würden mir warscheinlich auch alle glauben…*hohoho*) Spaß beiseite, ich war natürlich wirklich da. Echte Latvia Beach-Experten erkennen dies selbstverständlich ohne weiteres an Lichteinfall, Sandfärbung und Schrittweite der beiden Herren im Hintergrund.
Mit dem Zug gings auch wieder zurück. Der Typ der da so böse aus der Tür guckt ist der Lokführer. Der will vermutlich mehr Lohn oder nicht von mir fotografiert werden oder wundert sich über meine komische Einwegkamera – oder alles drei. Bevor mir hier noch der letzte Zug vor der Nase wegfährt, steige ich mal lieber schnell ein und sage: Tschüß Riga!